Mittwoch, 15. Oktober 2014
Verwaltete Langeweile mit Stimulanz
Hallo aus aus dem herbstlichen Norden. Heute war ich im falschen Film. Nein, es war der selbe Film wie sonst auch, aber dieser war extrem schräg. Ich bin in einer Institution beschäftigt, naja, beschäftigt ist nicht das richtige Wort, ich verwalte meine Zeit dort...8-10 Stunden am Tag. Doch das Highlight jeden Tages ist die Mittagspause für alle Büroinsassen. Um 12:30 Uhr hört man laute, fast fröhliche Stimmen auf dem Flur, die sich in der Küche selbstgemachtes oder bestelltes Essen hübsch anrichten und dann in den Gruppenraum zum Pläuschchen bewegen. Ich bin auch eine Anstaltsinsassin und schlawenzel hinter den anderen her.
Doch heute war die Pause nicht wirklich außergewöhnlich, nur bemerkenswert, weswegen ich dies hier auch vermerken muss. Wir waren nur zu Dritt. Das ist eine relativ geringe Anzahl an Mittagspausenmachenden. Da bei einer großen Anzahl an Pausierenden nicht auffällt, wenn die eine oder der andere mal etwas intensiver und länger auf sein Smartphone starrt, tun das wahrscheinlich auch Einige. Menschen, die auf Smartphones starren, interessieren mich nicht und ich ignoriere sie gekonnt und mit Erfolg. Diese Personen sind keine sozialen Personen, auch wenn sie sehr aktiv in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken handeln. Wenn jedoch nur drei Personen in einem Raum sitzen und ich bin eine von den Dreien und habe kein Smartphone dabei, weil es doch eine Mittagspause ist, dann fällt schon auf, dass die anderen zwei Smartphones dabei haben. Warum nehme ich kein Smartphone in die Mittagspause? Nun. Man stelle sich vor, man esse ein Brot. Ein Brot mit den Händen. Und dann stelle man sich vor, man verspüre den plötzlichen Drang irgendwas auf dem Smartphone herumzutippen, zu schieben und zu streichen. Ist das lecker? NEIN! Das Smartphone ist bei vielen Menschen der dreckigste und unhygienischste Gegenstand ihres Lebens. Wirklich! Keine Toilette oder Mülleimer ist so verdreckt wie das teure, so geliebte, unentbehrliche Smartphone. Außerdem arbeiten wir in einem Dienstleistungsunternehmen, auf dem man über 8 Stunden am Tag auf einen Bildschirm starrt. Warum sollte ich in meiner wohlverdienten Pause auf einen noch viel kleineren Bildschirm starren?
Aber zurück zur Mittagspausensituation. Die eine Kollegin ist stolze Mutter und möchte mir Fotos von ihrem Sohn zeigen. Dazu nimmt sie das Smartphone in die Hand und sucht durch vermehrtes Wischen über das verdreckte und schmierige Display die schönsten Bilder ihres Kindes. Ab und zu sagte sie dann „Schau mal, ist das nicht süß?!“. Ich stimme zu, denn das tut man so. Eigentlich langweilen mich viele Kinderbilder. Man muss wohl dabei gewesen sein, um alles süß zu finden...naja, ich stimme regelmäßig zu. Während der ganzen Zeit streicht und tippt die andere Kollegin auch auf ihrem Smartphone rum und sagt zwischendurch, dass sie uns auch etwas lustiges zeigen will. Tja, dazwischen sitze ich mit meinem Brot in der Hand, über das ich auch wischen und tippen kann, es würde nur keine sonderlich bemerkenswerte Veränderung geben...vielleicht würde sich nach einigen Stunden Wischen und Tippen der Aggregatzustand von fest auf flüssig ändern, aber ob das jemand sehen will, ich denke nicht. Also stimme ich der stolzen Mutter zu, dass ihr Kind ein ganz Hübsches sei und ach so lustig und putzig und ach, nein, was für ein Frechdachs. Zwischendurch zeigt die andere Kollegin lustige Videos von Youtube über sinnlose Abläufe von skurrilen Situationen und ich lächel auch da und sage Sachen ,wie „super lustig, voll witzig, ach nee, echt??!!“.
Doch durch meine Zustimmung zu den gezeigten Videos und Filmen entwickelt die Situation plötzlich eine Eigendynamik. Ich mümmel immer noch mein Brot, muss ja ständig mit dem Kauen aufhören und positive Kommentare von mir lassen, während meine Kolleginnen nach immer besseren, immer besonderen Videos und Fotos suchen. Schließlich habe ich die komplette Familie der einen Kollegin und alle Fotoshooting-Bilder der anderen Kollegin gesehen, es lässt sich jetzt kaum noch eine Steigerung erkennen. Doch da kommt´s. Die Kollegin, welche Videos von youtube favorisiert, zieht den ultimativen Joker. Sie bittet um unsere Aufmerksamkeit und zeigt uns ein Video. Es ist der Ausschnitt eines 70er-Jahre-Softpornos. Ja, ich sitze in einem Bürogebäude, das nur von seiner Selbstverwaltung lebt, versuche irgendwie mein Brot zu essen, weil ich verflucht nochmal Hunger habe und noch 4 Stunden in dem Laden aushalten muss, schaue mir fremde Kinder- und Familienbilder an, lächle und nicke immer höflich und dann muss ich mir auch noch nen Porno anschauen?! Geht´s noch? Mein Gesichtsausdruck ließ meine Kollegin merken, dass ich dazu wirklich keine Meinung mehr hatte. Jeder und jede kann sich in seiner Freizeit Pornos aus welchem Jahrzehnt auch immer anschauen. Aber bitte nicht, wenn eine Kollegin versucht, ihr Mittagsessen zu genießen, in einem prüden, völlig überregelten Gebäude voller Schnachsnasen, inmitten von Handlungsvorgaben zum Denken, zum Atmen, zum Schreiben und zum existentiellen Sein. Und dazwischen muss ich mir nen Porno anschauen? Ich werde blöd angemacht, wenn ich einen Vermerk vertütel und alle finden es in Ordnung, wenn ich während des Mittagsessens einen Porno schauen muss????!!! Wo bin ich denn??! Geht´s noch??!! Meine Kollegin sagte nur kurz, dass das doch lustig sei. Ich schüttelte den Kopf und mein Blick verriet, dass alles Höfliche, alles Nette und all meine Geduld jetzt vorbei sei. Man spürte förmlich, wie ihr das Ende der Mittagspause nun doch nicht schnell genug kommen konnte und mein lautloses Schreien nach Ausbruch aus dieser kranken Situation deutlich zu sehen war.
Ich sagte noch ein kurzes „Nee, brauch ich nicht unbedingt“ und ein „Hab schon mehr gelacht“ und dann bin ich in mein Büro gegangen.

Und ich wüßte gerne, ob ich durch ein einziges Wort, wie „doofes Bild, find ich weder süß noch lustig“ dieser Situation entkommen wäre.