Dienstag, 14. Oktober 2014
Exotisches aus dem Buchladen
Ich sitze gerade im Zug. Es ist ein kleiner Regionalzug nach Hamburg. Vor mir sitzt eine Mutter, nicht sonderlich attraktiv und ihre Tochter, die denkt, sie sei attraktiv. Sie haben Trolleys dabei. Ich hasse Trolleys. Menschen, die Trolleys hinter sich her ziehen, tun der Menschheit keinen Gefallen. Alle anderen Menschen, die um oder schlimmsten Fall hinter ihnen gehen, müssen damit rechnen, dass diese Trolley-Menschen, die sich selbst übrigens für einen Landei-Verschnitt von Sex and the City fühlen, plötzlich stehen bleiben und man dann über ihren beschissenen Trolley fällt. Oder sie gehen mal nach rechts oder nach links und das Ding wird dann zur Stolperfalle. Übrigens sind die Trolley-Menschen an Flughäfen immer die Gestressten. Sie sind die Urlauber, die immer eine Fresse ziehen, weil der Fahrstuhl zu weit weg ist und sie mit ihren dummen Trolleys nicht alle zusammen in den Fahrstuhl passen, weil der Trolley fast zu fett ist und nicht auf die Rolltreppe passt, weil Kinder ständig drüber fallen, weil ihr Beautycase immer runterfält und weil der Board-Trolley dann doch zu groß ist, um an Board zu kommen. Wenn ich Trolleys schon sehe, raste ich innerlich aus.
Und ja, da sind wir wieder im Zug. Zwei Damen vom Land wollen offensichtlich verreisen. Sie haben sich ganz, aber ganz individuelle Trolleys besorgt, die sie dann wahrscheinlich auch auf dem Fließband in der Flughafenhalle beim Abholen auch sofort als ihre eigenen identifizieren können. Außerdem sehen dann auch alle anderen, was für ganz indviduelle Trolleys sie haben. So in Grün. Und so mit lustigen Mustern drauf. Gemacht für die Großstadt!
Die Mutter sitzt da mit einem Reiseführer und liest diesen, als wäre es ein Bestseller. Total vertieft und als würde es um die schwerste Prüfung ihres Lebens gehen, ist sie in das Buch vertieft. Ihre Tochter verlässt sich auf das angelesene Wissen ihrer liebsten Freundin, ihrer Mutti.
Ab und zu sagt die Mutter etwas zu ihrem gelangweilten Kind. Sachen wie „dort kann man mit dem Bus fahren, das kostet umgerechnet 5 Euro, aber die Fahrscheinautomaten wechseln nicht“, zeigt mir, dass sie sich auf den Weg in ein unentdecktes Land befinden. Dort wird es sehr exotisch zugehen, denn ohne dem Buch würden sie sich in diesem fremden Land wohl nicht zurecht finden. Dann folgt der Satz „Aber wir wollen ja sowieso mit den roten Doppeldeckerbussen fahren“ und kurz darauf für die Tochter als Shopping-Tipp „Super dry stellt sich als ernstzunehmende Konkurrenz zu Hollister dar“. Hmm....ob sie wohl nach London fahren? Das ist anzunehmen. Sehr wahrscheinlich. Jap, das passt zu den beiden. Man müsse sich vorstellen, was würden sie für eine Bibliothek dabei haben, würden sie nach Kenia fliegen? Eine ganz Brockhaus-Reihe. Ich meine, London, das ist extrem exotisch. Dort gibt es Fahrkartenautomaten, die kein Geld wechseln. Auf jeden Fall sagt das das Buch. Und darauf muss man sich erstmal einstellen. Geistig einstellen.

Deutsche sind, und ja, das ist pauschal und empirisch belegt, sowieso mit allem außer sich selbst überfordert. Verlassen sie ihre Wohlfühlzone Deutschland, kommen sie damit nur klar, wenn sie Pauschalurlaub buchen, der komplett und ausschließlich ihren Vorstellungen entspricht. Ist das Buffet nicht groß genug, sprechen diese Ausländer kein Deutsch und bekommen sie nicht genug Animation, sind diese Ausländer wirklich nicht aufmerksam, dreckig, unfreundlich und überhaupt nicht gastfreundlich. Das nächste Mal geht es dann in ein anderes Hotel. Vielleicht auch in ein anderes Land, aber naja, die Ausländer sind ja alle eben anders. Da weiß man ja nie, was man bekommt. Außer der Veranstalter ist deutsch. Was für eine Wohltat!

Reisen Deutsche einfach so, einfach ohne pauschal gebuchtem Hirn-Abgeb-Paket in das ferne Ausland, wie Frankreich, Spanien, England, dann ist die Panik groß. Dann muss man sich Bücher kaufen, um erstmal etwas darüber zu lesen, wie die denn da ticken. Denn die sind ja alle ganz anders. Haben sie Strom? Wenn ja, welchen? Kann ich damit mein Handy aufladen und alles, was mir vor die Linse kommt, bei facebook einstellen? Wenn ich das nicht kann, dann kann ich da auf keinen Fall hin, denn wenn niemand auf facebook sehen kann, dass ich dort bin, wo ich bin, war es dann die Reise überhaupt wert? Wir Deutschen müssen das Exotische im Ausland finden. Ob es der Doppeldeckerbus in London ist, das Baguette in Paris, die gegrillte Heuschrecke in Thailand, wir müssen es fotografieren und uns davor! Sonst weiß ja niemand, dass wir etwas Exotisches erlebt haben. Ich denke, dass diese Mutter und ihre gelangweilte Tochter sicherlich auch Fotos machen, wie sie schwarzen Tee trinken. Exotisch!

So oder so, das erste Abenteuer wird die Suche nach dem individuellen Trolley am Flughafen sein. EXOTISCH! Ein Foto auf facebook beweist es. Wenn Deutsche dann zurück in die Heimat kehren, dann sind sie geschmückt mit Armbändern aus Holz oder Perlen, Sachen, die es HIER ja nicht gibt, die auch keiner kennt. Man gehört jetzt praktisch zu denen, den Exotischen. Die anderen können sich das gar nicht vorstellen, wie das das eigene Leben und die Sicht auf das Leben im Allgemeinen verändert hat. Man liebt Afrika nicht nur, man IST Afrika. Man liebt nicht nur den Style von London, man LEBT den Style von London. Man ist ein Weltenbürger geworden. Ein Weltenbürger mit einem Regal voller Bücher über das exotische Ausland, das so anders ist als hier in Deutschland, das nun alles in einem selbst steckt und das einem das gute Gefühl gibt, dass man überall auf der Welt sein Handy aufladen kann und alles, jede gegrille Heuschrecke, jeden schwarzen Tee und jedes Baguette bei facebook zeitnah posten kann. Zum Glück!

Ich wünsche den beiden Damen ganz viel Spaß beim Shoppen, furchtbares Wort, und dem Doppeldeckerbus. Sie werden als völlig andere Menschen zurück kommen. Und wir werden alle live dabei sein, wenn sie ihren grünen Trolley auf dem Flughafen gefunden haben!



Dienstag, 7. Oktober 2014
Konservierungsstofffe
Guten Morgen aus dem Zug nach Süden.
Ich möchte mich für meine Rechtschreibfehler und meine teilweise veralteten Wortfindungen rechtfertigen. Entschuldigen, nö, das möchte ich eher nicht. Denn an manchen Tagen schreibe ich so viele blödsinnige Buchstaben in so viele simple Worte, das dies am besten meinen aktuellen Tagesstatus darstellt. Wenn man dann einen Tag, eine Stunde oder einen Moment später diesen Müll durchliest, das gilt übrigens auch für die Sachen hier im Blog, dann muss man einfach nur drüber lachen. Und ja, wie man bemerkt haben sollte, schreibe ich ganz umgangssprachlich „drüber“ und nicht darüber. Heute ist drüber-Tag. Oder dies ist nur ein drüber-Morgen. So oder so nehmt es mir nicht übel, wenn sich hier und da Fehler einschleichen. Wichtig ist, dass man die Fehler bemerkt und nicht, dass man welche macht. Denn Menschen machen Fehler. Übrigens „Gerüchte aus dem Abfluss“ stammt von einem erbosten Brief an meinen Vermieter. Eigentlich sollte im Betreff „Gerüche aus dem Abfluss“ stehen. Als ich den Fehler bemerkt habe, war der Brief schon weg und ich hoffe, dass mein Vermieter sich über den Betreff köstlich amüsiert hat.
Daher nehmt Fehler mit Humor. Lachen ist doch immer noch der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen.
Macht es gut, der Tag wird noch besser.



Montag, 6. Oktober 2014
Lautloses Schreien
Herzlich willkommen zurück im Alltag.
Der Alltag hat mich so aufgefressen, mürbe gemacht, sooo dermaßen gelangweilt, dass ich nicht wußte, wie ich diese Trivialität und die Verschwendung von Lebenszeit in Worte fassen sollte. Deswegen habe ich lange nichts mehr von mir lesen lassen. Manche Menschen würden sich über etwas mehr Langeweile in ihrem Leben und mehr Lebenszeit freuen. Bei diesen Menschen möchte ich mich entschuldigen. Ich weiß, wie kostbar die Zeit ist, die wir hier mit unseren Lieben glücklich verbringen können, wenn wir es nur wollen. Doch manchmal lässt uns der Alltagsstress, die nicht erfüllten Erwartungen an die Umwelt, die Ohnmacht sich selbst gegenüber und das süße Leben keinen Funken zum Atmen mehr.
So oder so. Ich war auf Wacken. Natürlich! Ich erzähle davon jedoch in einem anderen Thema. Wacken braucht immer ein eigenes Thema!
Mein lautloses Schreien begann schon vor einigen Jahren. Doch ich war lieb und nett, ich dachte, die anderen meinen es sicher nicht so. Doch seit weniger als 6 Monaten arbeite ich in einer Institution, welche Demokratie als "bottom up"-Prozess versteht, jedoch nicht ausführt. Meine Antipathie steigt von Tag zu Tag gegenüber diesem repressiven System. Und ich arbeite für dieses. Ich arbeite sogar nicht schlecht. Ich arbeite systemkonform. Das besorgt mich jedoch weniger als die Tatsache, dass ich die Einzige in dem Schuppen bin, die dieses immer wieder anspricht. In einem demokratischen Vorzeigestaat kann ein solches System ohne weiteres problemlos expandieren. Das ist doch wahnsinn! Also worüber rege ich mich auf? Darüber, dass ich nicht wußte, worauf ich mich einlasse, als ich dort zu arbeiten begann? Dass ich nicht sofort kündigte, als ich merkte, wo ich mich befinde? Dass ich zu weit unten in der Hierarchie sitze und nichts tun kann oder mich zu wenig traue? Oder über unser System? Warum schreibe ich hier in ein öffentliches Forum mein Bedenken über ein System, das ich bewußt fördere, indem ich aktiv meinen Job ausführe? Mein Job ist nicht schlecht. Nicht falsch verstehen. Und da kommen wir wieder zum nächsten Problem. Arbeitslos zu sein in Deutschland ist ein Stigma, gefördert von der Gesellschaft. Also wohin mit der Wut im Bauch? Engagement muss politisch korrekt sein, denn nur dann wird es als seriös angesehen. Ist die Politik denn politisch korrekt und ist mein Engagement dann vielleicht nur ein netter Weichspüler?
Ihr kennt solche Gedanken sicherlich auch. Also lieber Arbeitstier als arbeitslos? Witzigerweise, und das ist doch kein Zufall, höre ich jeden Morgen um halb 6 Uhr morgens im Radio "Bück dich hoch". Ich komme mir vor wie in der Truman Show.
Und morgen beginnt wieder ein Tag im Paradies.
Ich ende anders, denn es geht ja weiter. Sowieso.