Ein Hauch von Phantasie
Guten Morgen. Eben stand ich noch mit einigen Vielen auf dem Bahnsteig, wartend auf den verspäteten Zug nach Hamburg. Die Anderen stehen wie ich, von einem Bein auf das Andere wippend, mal einen Schritt zurückgehend, mal gebückter, mal deutlich frierend auf dem dunklen Bahnsteig und starren in die Richtung, woher der Zug hoffentlich bald ankommen soll.
Ich selbst weiß auch nie so genau, wie ich mir die Zeit vertreiben soll, während ich hoffe, dass bitte jetzt, sofort, jede Sekunde dieser Zug um die Kurve fährt und einen kuschelig, warmen Sitzplatz für ganze 31 Minuten für mich persönlich bereit hält. Also wippe, friere, gehe ich wie alle anderen auf und ab. Das Schöne an diesem Zug ist, dass man immer einen Doppelsitz für sich, seine Sachen, seine Ruhe hat. Das ist Luxus.
Ich stehe also etwas entfernt von den anderen Wartenden in Richtung Parkplatz, weil mir zu viele Menschen dicht am Bahnsteig stehen. Da höre ich Vogelstimmen. Vögel schreien, kreischen, zwitschern vor sich hin. Das ist mir vorher noch nie aufgefallen, wenn ich so am Bahnsteig wartete. Also gehe ich noch einen Schritt weiter zum Parkplatz, auf dessen einer Seite sehr hohe Bäume stehen, die ihn zur angrenzenden Wohnsiedlung abschotten. Und auf einmal ist etwas sehr Schönes passiert.
Ich war plötzlich ganz weit weg. Diese großen Bäume waren ein kleiner Dschungel und die vielen Vögel da drinnen, waren Affen, ganze Horden an Affen, Vögel, kleine Impalas, Zebras, die von den Bäumen Blätter zupften, dann hörte ich Hadidas, ich sah sogar den einen oder anderen Affen aus dem Baum auf die Straße springen und wieder hoch in die Bäume. Ich saß auf der Terrasse des Holzhauses, es war abends und die Nacht brach an. Die Tiere wurden aktiv und wuselten, kreischten, sprangen im Gebüsch herum. Immer wieder flog ein aufgeregter Vogel aus den Bäumen heraus, kreiste, kam wieder zurück. Dann eine Fledermaus, ein Affe sprang von Ast zu Ast und ich bekam kaum mit, dass sich der verspätete Zug langsam dem Bahnhof näherte.
Jetzt denkt ihr wahrscheinlich, ich sei total durchgeknallt. Ich werde dies nicht leugnen, aber als ich diese Vögel früh morgens im Dunkeln Mitte November hörte, da habe ich mir nur gedacht, wie schön es denn sei, diesen Tieren zuzuhören und wo und wann habe ich das letzte Mal einfach nur Tieren gelauscht?! Und dann nahm ich mir den Luxus, die Zeit, die Vorstellung, mich in eine bessere, schönere Situation zu versetzen.
Es ist interessant, wohin man sich selbst versetzen kann, wenn sich auf seine Sinne verlässt und Verknüpfungen mit seinen eigenen Erfahrungen zulässt.
Gestern wollte ich einen Verein aufsuchen, damit ich mich über Inhalte informieren kann. Ich wußte, dass dieser Verein irgendwo in alten Lagerhallen auf einem alten Industriegelände seinen Eingang hat. Also bin ich dahin gelaufen. Ich mag alte Gebäude mit Geschichte. Also trippelte ich an der Mauer des Geländes entlang, um festzustellen, dass ich so nicht auf das Gelände komme. Es war schon dunkel, es nieselte und auf dem Gelände war es einsam. Ich bezweifle, dass der Verein geöffnet war. Ich trippelte aber trotzdem zurück, suchte den Durchgang der Mauer, fand ihn, ging zur einer Halle über das Kopfsteinpflaster und suche nach einer Tür, auf der irgendwas steht, was mir weiterhilft. Eine nicht beleuchtete Metalltür war mit Öffnungszeiten und Kontaktdaten beklebt. Ich fotografierte sie ab und versuche die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Ein Auto weit hinten, irgendwo dort, wo vielleicht diese Halle aufhörte, startete den Motor und fuhr an mir vorbei. Ich stand da, kalt, dunkel, Nieselregen und es roch modrig. Dieser Geruch war mir sehr bekannt. Und wieder befand ich mich an einem anderen Ort. Genauso roch Magdeburg. Nach alten Gebäuden, die durch Feuchtigkeit vermodern, innen eisig kalt sind, so dass die Kälte durch die Wände dich schaudern lassen, wenn du an ihnen vorbei gehst. Einsam, verwahrlost und einsturzgefährdet. Das ist der Geruch, den ich mit Magdeburg verbinde. Ich war plötzlich wieder in den Straßen Magdeburgs, abends, ganze Hausnummernreihen standen seit Jahren, Jahrzehnten leer und rochen vor Kälte, Nässe, Schimmel und allem, was man dort zurückgelassen hat. Dieser Geruch ließ mich sofort los, als ich von dem Gelände wieder auf den Bürgersteig trat und weit genug von den alten Gebäuden weg war.
Und jetzt, jetzt sitze ich in einem Zug zurück nach Hause, die Sonne geht rot leuchtend am Horizont unter. Vor dem Horizont stehen ein paar kahle Bäume. Sonst ist nicht viel zwischen dem Zug, in dem ich sitze und der roten Sonne. Und da bin ich wieder. An einem verlassen, sehr stillen Ort. Ich fühle mich erschöpft von dem langen Tag im Auto sitzend durch die Steppe fahrend. Nun sitze ich auf einer Holzterrasse mitten im Nirgendwo. Die Stille tut fast weh in den Ohren. Man sieht nur die Sonne, wie sie schnell aber kräftig rot untergeht. Zwischen mir und der Sonne sind nur ein paar kahle Bäume.
Und wenn die Sonne fast untergegangen ist, dann kommen die Tiere heraus und kreischen, zwitschern, reißen Blätter von den Bäumen, springen von Ast zu Ast, grasen zwischen den Bäumen.
krisenkind am 22. November 14
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Trivialitäten am Wochenanfang
Heute gibt es keine Sensation. Heute gibt es nur einen Montag. Es ist dieser Montag, der immer nach dem Sonntag kommt, der einen wünschen lässt, dass ein weiterer Sonntag nach diesem Sonntag doch ganz schön wäre. Tja, aber es gibt keinen weiteren Sonntag, sondern nur die Vorbereitungen auf Montag, der nervende Handywecker am sehr, sehr frühen Montag und die Entscheidung, den Wecker auszuschalten und die Gleitzeit auszunutzen. Ein Montag eben. Langsam in den Tag starten, versuchen den eigenen Stresspegel am Anfang des Arbeitstages, des ersten Arbeitstages der Woche so niedrig wie möglich zu halten.
Und auch wenn man wirklich alles versucht, um dieses Anti-Stress-Gefühl an den beginnenden Tag zu legen, irgendwie ist es doch das übliche Montagsgefühl, das dem Dienstagsgefühl gleicht und sich in das Mittwochsgefühl steigert und dann in dem erschöpften Donnerstagsgefühl endet und sich nur noch auf den Freitag freut.
So habe ich für meine Kollegen ein Blech Nussecken gebacken. Die habe ich dann schön säuberlich in eine tragbare Kastenkuchenform gestapelt. Natürlich habe ich diese tragbare Kastenkuchenform heute auf meinem Weg zum Bahnhof in meinen Fahrradkorb gestellt, wo sie leider auch prompt auf ging. Die fein säuberlich gestapelten Nussecken bröselten heraus. Ich presste den Deckel schnellstmöglich wieder auf die Nussecken, damit diese nicht noch mehr herumrutschen und sich entschließen, komplett auseinander zu fallen. Ich hoffe, dass die Katastrophe damit abgewendet ist. Ich werde es sehen, wenn ich meinen Kollegen meine selbstgebackenen Nussecken anbiete und diese mich entweder auslachen oder den Kopf schräg legen und mit Kommentaren wie „Backen ist nicht so deins, ne?“ oder „Vielleicht schmecken sie besser als sie aussehen“ eine halbwegs erkennbare Nussecke auswählen. Meine Hoffnung liegt auf den unteren Nussecken, die hoffentlich noch all ihre Schokoladenecken haben, stabil gestapelt und einigermaßen ansehnlich sind. Denn das Auge isst ja mit und egal ist es mir ja nicht, wenn ich mit Freude backe und am Ende kommt nen unansehnlicher, unappetitlicher Nussklumpen mit Wegwerfpotential auf den Tisch.
Ansonsten könnte mich heute sicherlich nicht mehr so viel stressen. Ich hoffe natürlich auf die Gunst der Arbeit, dass heute keine Lawinen an Arbeit auf mich zu rollen, aber da haben wir wieder den Vorteil des Montags: Es bleiben noch Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, um diese Dinge zu erledigen! Daher bloß keinen Stress. Am Montag wollen viele Leute die Dinge vom Schreibtisch haben und belästigen deswegen andere Menschen mit diesen Dingen. Diese Menschen wollen diese Dinge aber auch nicht länger als nötig auf dem Schreibtisch haben und schieben diese wieder weiter. Das führt manchmal dazu, dass man schließlich der Mensch ist, der diese Arbeit erledigen muss und diese nicht an jemand anderen weitergeben kann. Und da bietet sich doch der Tag nach dem Montag oder übernächste Tag nach dem Montag oder eben die Verteilung der Arbeit auf vernünftige Portionen auf die komplette Woche an. Arbeit kann ja auch Spaß machen, wenn man immer in kleinen Dosen einige Erfolgserlebnisse hat und diese dann auch mit einer Nussecke und einem Tässchen Tee zelebriert. Am Ende ist man glücklich, hat ein paar glücklich machende Kalorien zu sich genommen, die Arbeit ist in gleichbleibender, solider Qualität erledigt worden und alle sind entspannt und glücklich.
Und was ganz wichtig ist: Zu viel Stress bei der Arbeit führt zu verminderter Freizeitqualität. Und mal unter uns, die Freizeit, das Privatleben, alles, was man nicht oder in der Zeit ohne Arbeit plant, das sollte uns glücklich machen. Und das geht nur, wenn man den Stress bei der Arbeit reduziert. Ansonsten trägt man ihn mit nach Hause, mit zu seinen Freunden und Familie, die irgendwann keine Lust mehr haben, sich diesen langweiligen und auch wirklich selbst verschuldeten Zwang anzuhören.
Von daher sollten wir den Montag nutzen, um den Rest der Woche entspannt anzugehen. Darauf eine Nussecke!
krisenkind am 10. November 14
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Verwaltete Langeweile mit Stimulanz
Hallo aus aus dem herbstlichen Norden. Heute war ich im falschen Film. Nein, es war der selbe Film wie sonst auch, aber dieser war extrem schräg. Ich bin in einer Institution beschäftigt, naja, beschäftigt ist nicht das richtige Wort, ich verwalte meine Zeit dort...8-10 Stunden am Tag. Doch das Highlight jeden Tages ist die Mittagspause für alle Büroinsassen. Um 12:30 Uhr hört man laute, fast fröhliche Stimmen auf dem Flur, die sich in der Küche selbstgemachtes oder bestelltes Essen hübsch anrichten und dann in den Gruppenraum zum Pläuschchen bewegen. Ich bin auch eine Anstaltsinsassin und schlawenzel hinter den anderen her.
Doch heute war die Pause nicht wirklich außergewöhnlich, nur bemerkenswert, weswegen ich dies hier auch vermerken muss. Wir waren nur zu Dritt. Das ist eine relativ geringe Anzahl an Mittagspausenmachenden. Da bei einer großen Anzahl an Pausierenden nicht auffällt, wenn die eine oder der andere mal etwas intensiver und länger auf sein Smartphone starrt, tun das wahrscheinlich auch Einige. Menschen, die auf Smartphones starren, interessieren mich nicht und ich ignoriere sie gekonnt und mit Erfolg. Diese Personen sind keine sozialen Personen, auch wenn sie sehr aktiv in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken handeln. Wenn jedoch nur drei Personen in einem Raum sitzen und ich bin eine von den Dreien und habe kein Smartphone dabei, weil es doch eine Mittagspause ist, dann fällt schon auf, dass die anderen zwei Smartphones dabei haben. Warum nehme ich kein Smartphone in die Mittagspause? Nun. Man stelle sich vor, man esse ein Brot. Ein Brot mit den Händen. Und dann stelle man sich vor, man verspüre den plötzlichen Drang irgendwas auf dem Smartphone herumzutippen, zu schieben und zu streichen. Ist das lecker? NEIN! Das Smartphone ist bei vielen Menschen der dreckigste und unhygienischste Gegenstand ihres Lebens. Wirklich! Keine Toilette oder Mülleimer ist so verdreckt wie das teure, so geliebte, unentbehrliche Smartphone. Außerdem arbeiten wir in einem Dienstleistungsunternehmen, auf dem man über 8 Stunden am Tag auf einen Bildschirm starrt. Warum sollte ich in meiner wohlverdienten Pause auf einen noch viel kleineren Bildschirm starren?
Aber zurück zur Mittagspausensituation. Die eine Kollegin ist stolze Mutter und möchte mir Fotos von ihrem Sohn zeigen. Dazu nimmt sie das Smartphone in die Hand und sucht durch vermehrtes Wischen über das verdreckte und schmierige Display die schönsten Bilder ihres Kindes. Ab und zu sagte sie dann „Schau mal, ist das nicht süß?!“. Ich stimme zu, denn das tut man so. Eigentlich langweilen mich viele Kinderbilder. Man muss wohl dabei gewesen sein, um alles süß zu finden...naja, ich stimme regelmäßig zu. Während der ganzen Zeit streicht und tippt die andere Kollegin auch auf ihrem Smartphone rum und sagt zwischendurch, dass sie uns auch etwas lustiges zeigen will. Tja, dazwischen sitze ich mit meinem Brot in der Hand, über das ich auch wischen und tippen kann, es würde nur keine sonderlich bemerkenswerte Veränderung geben...vielleicht würde sich nach einigen Stunden Wischen und Tippen der Aggregatzustand von fest auf flüssig ändern, aber ob das jemand sehen will, ich denke nicht. Also stimme ich der stolzen Mutter zu, dass ihr Kind ein ganz Hübsches sei und ach so lustig und putzig und ach, nein, was für ein Frechdachs. Zwischendurch zeigt die andere Kollegin lustige Videos von Youtube über sinnlose Abläufe von skurrilen Situationen und ich lächel auch da und sage Sachen ,wie „super lustig, voll witzig, ach nee, echt??!!“.
Doch durch meine Zustimmung zu den gezeigten Videos und Filmen entwickelt die Situation plötzlich eine Eigendynamik. Ich mümmel immer noch mein Brot, muss ja ständig mit dem Kauen aufhören und positive Kommentare von mir lassen, während meine Kolleginnen nach immer besseren, immer besonderen Videos und Fotos suchen. Schließlich habe ich die komplette Familie der einen Kollegin und alle Fotoshooting-Bilder der anderen Kollegin gesehen, es lässt sich jetzt kaum noch eine Steigerung erkennen. Doch da kommt´s. Die Kollegin, welche Videos von youtube favorisiert, zieht den ultimativen Joker. Sie bittet um unsere Aufmerksamkeit und zeigt uns ein Video. Es ist der Ausschnitt eines 70er-Jahre-Softpornos. Ja, ich sitze in einem Bürogebäude, das nur von seiner Selbstverwaltung lebt, versuche irgendwie mein Brot zu essen, weil ich verflucht nochmal Hunger habe und noch 4 Stunden in dem Laden aushalten muss, schaue mir fremde Kinder- und Familienbilder an, lächle und nicke immer höflich und dann muss ich mir auch noch nen Porno anschauen?! Geht´s noch? Mein Gesichtsausdruck ließ meine Kollegin merken, dass ich dazu wirklich keine Meinung mehr hatte. Jeder und jede kann sich in seiner Freizeit Pornos aus welchem Jahrzehnt auch immer anschauen. Aber bitte nicht, wenn eine Kollegin versucht, ihr Mittagsessen zu genießen, in einem prüden, völlig überregelten Gebäude voller Schnachsnasen, inmitten von Handlungsvorgaben zum Denken, zum Atmen, zum Schreiben und zum existentiellen Sein. Und dazwischen muss ich mir nen Porno anschauen? Ich werde blöd angemacht, wenn ich einen Vermerk vertütel und alle finden es in Ordnung, wenn ich während des Mittagsessens einen Porno schauen muss????!!! Wo bin ich denn??! Geht´s noch??!! Meine Kollegin sagte nur kurz, dass das doch lustig sei. Ich schüttelte den Kopf und mein Blick verriet, dass alles Höfliche, alles Nette und all meine Geduld jetzt vorbei sei. Man spürte förmlich, wie ihr das Ende der Mittagspause nun doch nicht schnell genug kommen konnte und mein lautloses Schreien nach Ausbruch aus dieser kranken Situation deutlich zu sehen war.
Ich sagte noch ein kurzes „Nee, brauch ich nicht unbedingt“ und ein „Hab schon mehr gelacht“ und dann bin ich in mein Büro gegangen.
Und ich wüßte gerne, ob ich durch ein einziges Wort, wie „doofes Bild, find ich weder süß noch lustig“ dieser Situation entkommen wäre.
krisenkind am 15. Oktober 14
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