Gleichförmigkeit im Interessenskonflikt
Ein informiertes Moin aus der Nachrichtenflut.
Die letzten Tage las ich interessiert und intensiv die Zeitung. Ich las Artikel für Artikel durch und dachte sogar kurz darüber nach, einige Artikel auszuschneiden.
Und? Merkt ihr was? Ich lese noch die Zeitung. Ich klicke nicht, verfolge keine feeds, ich scrolle nicht oder selektiere die mir zur Verfügung gestellten Nachrichten, nein, ich bekomme eine gefaltete Tageszeitung nach Hause geliefert, öffne sie mit einer übergroßen Handbewegung, der Tisch verschwindet unter dem stumpfen Altpapier und es knistert gemütlich. Die Zeitung offeriert mir alle wichtigen Neuigkeiten, die ich ihrer Meinung nach heute wissen sollte. Ich lese mich also von vorne bis hinten durch die Artikel durch. Die Überschriften sind oft verwirrend und ich muss erst den Text dazu lesen, um zu verstehen, wovon der Artikel denn überhaupt handelt.
Aufgefallen ist mir dabei, dass ich trotz zusätzlicher Recherche im Internet nur begrenzt Informationen bekomme. Die Selektion meinerseits steht in keinem Verhältnis zu den limitierten Informationen, die ich über ein bestimmtes innen- oder außenpolitisches Thema erhalte.
Und dabei fühle ich mich wie ein Fachidiot ohne Fachgebiet. Wir können alle haargenau erzählen, was in Ägypten, in Griechenland, Sparplänen der Bundeskanzlerin, dem Wahlkampf oder auch der Energiewende passiert, aber ne Ahnung haben wir trotzdem nicht. Wir wissen nicht, was wirklich geschieht, wir wissen nur das, was uns zugemutet wird.
Natürlich sind wir nicht alle Politikwissenschaftler und können uns nicht stundenlang in Fachbücher vergraben und die Hintergründe der Unruhen in den arabischen Staaten erforschen. Dennoch denken wir, dass wir alles wüßten. Die Informationen erscheinen vollständig.
Ein kleines Experiment meinerseits, welches ich gerne in Cafés mache, ist, mich an einen Tisch zu setzen und Zeitung zu lesen. Ich lese nicht ignorierend, sondern offenherzig mit einem netten Lächeln und dann sage ich aus dem Blauen heraus: "Ist das nicht schlimm, was da in Ägypten passiert?" Und dann kommt die Antwort eines Profis. Ja, die Menschen in der Umgebung sind absolute Vollinformationiker, die einem sofort und jederzeit die komplexesten, politischen Zusammenhänge mit einer Leichtigkeit und teilweise einer Arroganz erläutern können, das hat man noch nicht erlebt. Wir sind wirklich so informiert, dass ich nach dieser ausführlichen Berichterstattung frage: "Woher wissen Sie das?". Darauf folgen Pauschalantworten. Verlegenheit, Unsicherheit und überspielte Erklärungsnot. Denn woher soll man das wissen? Man weiß es eben. Die Nachrichten sagen einem das doch. Und die klugen Diskussionsrunden auf den öffentlich-rechtlichen Sendern mit den unstudierten Reportern, die eine extrem oberflächliche Meinung zum politischen Bild der ausländischen Innenpolitikprobleme haben, erklären uns die Welt. Wir wissen, denn wir lesen, wir hören und wir.....nee...denken tun wir nicht. Wir wissen das, was andere wissen, denn dann sind wir optimal informiert.
Aber was weiß ich denn über die Zustände in einem Land, das nicht mein eigenes ist? Und weiß ich denn, was ein Asylbeantrager in Deutschland weiß? Weiß ich, was eine hart arbeitende Mutter mit bezuschußtem Hartz IV durchmachen muss? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, wer bei der Bundestagswahl gewinnt. Ich kann mich informieren, aber ich weiß gar nichts.
Denken hilft, auch wenn es nicht zur Befriedigung des Wissensdurstes führt, ist das Hinterfragen immer noch ein Schatz in unserer überinformieren Gesellschaft voller Gleichförmigkeiten.
"Kierkegaard beobachtet bereits eine schrittweise Diktatur des "Man". Man denkt, man redet, man meint, man tut dies und das. Wo das "Man" regiert, wird man unversehens zum Abklatsch der anderen. Keiner wagt, er selbst zu sein, keiner wagt, aus der Reihe zu tanzen. Die Kierkegaard-Biografin Anna Paulsen:
"Ein solcher Mensch wagt niemals etwas zuerst zu tun, er schaut erst umher, bis er sieht, wie die anderen es machen. Denn 'die anderen', das ist das, wovon er sich abhängig macht.""
Achenbach, Rüdiger: "Der Einzelne und die Massengesellschaft. Serie "Sören Kierkegaard - Vater der Existenzphilosophie" (Teil 2). Deutschlandfunk. Tag für Tag. 06.08.2013.
krisenkind am 06. August 13
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