Vergessene Empörung und aufloderndes Halbwissen
Moin aus dem sommerlichen Norden an alle, die schon den beginnenden Herbst genießen können. Warum genießen? Na, ganz klar. Im Sommer weiß man nie so genau, ob die kommenden Tage warm, regnerisch, sonnig, windig oder doch wieder mies werden. Im Herbst gibt´s keine Überraschungen und wenn, dann sind es schöne, bunte, kühl und modrig riechende goldenen Herbsttage und die gelten allgemein als schön. Daher genießt euren Herbstanfang.
Wo wir gerade von den Jahreszeiten sprechen, fallen mir ein paar Fragen ein, die ich mir im Stillen dachte und hoffte, darauf eine sommerliche Antwort zu bekommen.
Wir haben doch eben noch die Revolution in Ägypten gelobt, die Experten diskutierten mit viel Optimismus und noch viel mehr Namen aus der dortigen Militär- und Politikspitze, die das Land nun in eine Demokratie "stürzen" würden. Das Wort Demokratie wurde selten so ausgeweitet oder auch ausgeweidet wie in den letzten zwei Jahren seit des, Moment..., wie hieß das Massaker noch, ach ja, des Arabischen Frühlings. Dass der Frühling mal eine so blutige Konnotation inne haben würde, war damals nicht abzusehen. Da haben wir aber mal die anderen Frühlinge der Weltgeschichte gekonnt ignoriert oder wir haben es schlichtweg als hübsches Wort hingenommen. Frühling ist ja hübsch, man freut sich über den Frühling.
Doch die klugen Leute, die in den spät-abendlichen Diskussionsrunde in den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens über die Zukunft Ägyptens sprachen, sie freuten sich so sehr über die Feierlichkeiten auf dem Tahrir-Platz, dass man nur Gutes oder im bescheidenen Maße Instabilität über die Entwicklung des beliebten Urlaubslandes erwähnte.
Es war die Rede von Technokraten, die zielsicher und unabhängig, rational und ökonomisch das Land in eine sichere Zukunft führen würden. Ich habe noch nie so oft das Wort „Technokrat“ gehört, wie in dieser Zeit. Jeder Experte wusste, dass dies Technokraten sind. Die Übergangsregierung bestand komplett aus Technokraten. Nun wissen wir, dass die Technokraten ganz rational das Handtuch nach kurzer Zeit geworfen haben und ebenso unabhängig erklärten, dass sie bei diesem Gewaltausbrüchen nun wirklich nichts ausrichten könnten. Das Militär, welches den einen, dann den anderen, nun auch die Aktuellen und was weiß ich, wen noch, überrumpelt hat, alles im Namen des Volkes, hat nun eine Idee, wie es mit dem Land der Pharaonen weitergeht. Die Islamisten waren erst die Bösen, nun sind sie die Opfer, das Volk gibt es nicht mehr, sondern nur noch Militär und Muslimbrüderschaft.
Ich selbst weiß nur das, was mir die Zeitung und die Nachrichten an Informationen geben, jedoch fragte ich mich nach den Lobeshymnen auf Ägyptens Neuorientierung dank der Technokraten, was denn nun in Syrien ist.
Ja, ich weiß, das ist eine doofe Frage. Wenn dort etwas passieren würde, hätten wir es im Fernsehen gesehen. Wir wussten ja schon, dass in Syrien Zivilisten wie die Fliegen von der Regierung umgebracht werden und dass die Berichterstattung erst dann wieder interessant für uns Europäer werden würde, wenn wir darin involviert werden. Doch das war nicht der Fall, also ignorieren wir Syrien, Barhain, Jemen, Libyen, Somalia, Südsudan, ach all diese Länder eben.
Nun tauchten Bilder von Bürgern in Syrien auf, die durch einen Giftgasangriff getötet oder schwerst verletzt worden sind. Die Bilder tauchten im Internet auf. Sie tauchten also in der breiten Öffentlichkeit auf. Giftgasangriffe sind sehr schwere Vergehen. Darauf droht eine Strafe. Da müsste man mal in das Völkerstrafrecht schauen. Zum Glück gingen die Bilder übers Internet, sonst hätten wir uns nicht damit beschäftigt.
Tja, und da haben wir das Dilemma: Die USA wollen sofort und unverzüglich irgendwas unternehmen um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Dazu benötigen sie keine Mandate oder ähnlich lästiges Zeug. Konsens ist sowieso im Fall Syrien überbewertet, auch wenn sich die Befürworter Syriens langsam neutralisieren. Doch Einige erinnern sich noch an Metallrohre im Irak, die als Massenvernichtungswaffen interpretiert worden sind und dass dort nach über zehn Jahren immer noch keine Demokratie herrscht. Das Wort des Jahrzehnts: Die Demokratie. Ok, darüber müssen wir jetzt nicht reden, das führt zu nichts.
Nun ist das Problem, dass man noch so viele andere, nicht demokratische Krisenherde hat, in denen Soldaten um die Demokratisierung einer völlig fremden, nicht verstandenen Kultur und Religion kämpfen. Und das nicht mit Liebe und Frieden, sondern mit Drohnen und Tanklasterexplosionen.
Ich möchte nicht in der Haut der UNO-Sonderermittler stecken, die nun anhand der Zustände vor Ort eine internationale Entscheidung schwer beeinflussen können. Es ist ein Fakt, dass in Syrien ein Konflikt mit besonders schrecklichen Ausmaßen herrscht. Jedoch ist dieser Konflikt in Syrien, nicht in einem anderen Land, nur in Syrien, erst dann außenpolitisch interessant, wenn tatsächlich eine Massenvernichtungswaffe in dem Konflikt zur Anwendung kommt.
Und nun stehen diese Ermittler in dem Krisengebiet, beurteilen die Lage vor Ort, soweit es ihnen möglich gemacht wird und in der Tagespolitik dominieren schon die Interventionsvorbereitungen der Internationalen Gemeinschaft.
Es gab mal vor langer Zeit den Auftrag der Internationalen Gemeinschaft Völkerrechtsverbrechen zu verhindern. Aber ein präventiver Schlag zur Verhinderung eines Verbrechens kann als ein Akt der Aggression interpretiert werden. Ein militärisches Eingreifen hervorgerufen durch ein Völkerrechtsverbrechen, kann in einen endlosen Konflikt mehrerer inländischer Gruppierungen und ausländischer Koalitionen führen und in den jeweiligen Blickpunkten als Invasion gewertet werden.
Der arabische Frühling hat ein Bevölkerungsbewusstsein geweckt, dass etwas an einer Regierungsform verändert werden könnte. Die Akzeptanz einer Obrigkeit ist nicht bedingungslos vorhanden, sondern kann durch Wenige umgestoßen werden. Dennoch ist es keine Demokratie, die entsteht, wenn man einen Machthaber stürzt. Die Demokratie, in welcher Form auch immer, ist nicht das Ergebnis einer Revolution. Und es entstehen keine Demokratien, wenn Demokratien gegen Nicht-Demokratien Krieg führen.
Falls sich nun eine demokratische Regierung entscheiden sollte, in den Syrien-Konflikt einzuschreiten, dann wird ebenfalls keine Demokratie entstehen, aber vielleicht wird ein weiterer Machtinhaber gestürzt, so dass sich die Bevölkerung wieder umorientieren kann. Wird dies dann der arabische Sommer? Wenn in allen arabischen Frühlingsländern die Machtinhaber gestürzt sind und sich alles irgendwie neu formiert, in welche Richtung dies auch gehen mag, haben wir dann den Sommer erreicht?
Was kommt denn nach dem Frühling? Winter? Sommer? Wie sähe denn der Sommer aus?
Ich wünsche euch einen schöne, ruhigen Herbstanfang und Sommerausklang.
Bleibt besser so, wie ihr seid, nämlich einfach gut.
krisenkind am 27. August 13
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